Man kennt es. Kaum hat der Konsum unseres Lieblingskrauts oder Extraktes stattgefunden, muss auch schon die erste Chipstüte aufgemacht werden. Oder man bestellt sich eine Pizza. Oder man plündert die letzten Schokoladenvorräte und liegt anschließend zwischen massenhaft Alu- und Plastikverpackungsresten auf der Couch und schämt sich für seine mangelnde Impulskontrolle. So schlimm wird es bei den meisten von uns wahrscheinlich nicht sein, aber es kommt bei genug Menschen vor, um mal einen genauen Blick darauf zu werfen. Woher kommt der Heißhunger nach dem Cannabiskonsum? Warum habe ich nach dem Grasrauchen immer einen Fressflash? In diesem Artikel erkläre ich euch, wie Hunger im menschlichen Körper zustande kommt und was unser Lieblingskraut damit zu tun hat.
Hunger und Sättigungsgefühl werden durch Hormone gesteuert
Schuld am Magenknurren – auch unabhängig vom Cannabiskonsum – sind unsere Hormone. Das sind biochemische Botenstoffe, die aus endokrinen Drüsen abgegeben werden. „Endokrin“ bedeutet, dass sie direkt ins Blut abgegeben werden. Das Gegenteil sind exokrine Drüsen, die nach außen führen (z.B. Schweißdrüsen).

Abbildung 1: Übersicht der endokrinen Drüsen
1. Zirbeldrüse (Epiphyse)
2. Hirnanhangsdrüse (Hypophyse)
3. Schilddrüse und Nebenschilddrüsen
4. Thymus
5. Nebenniere
6. Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
7. Frau: Eierstock (Ovar)
8. Mann: Hoden
Quelle: Wikipedia
Das Hungergefühl wird durch das Hormon Ghrelin ausgelöst. Wenn dem Körper zu wenig Energie zur Verfügung steht oder dem Magen schon länger keine Nahrung mehr zugeführt wurde, wird in der Magenschleimhaut und der Bauchspeicheldrüse Ghrelin freigesetzt. Dies gelangt über den Blutkreislauf in das Gehirn und bindet dort an die Ghrelin-Rezeptoren. Das sind Proteine, die sich dort in den Zellmembranen befinden.

Die Bindung an den Rezeptor verursacht durch eine biochemische Signalkette die Ausschüttung weiterer Hormone und signalisiert unserem Gehirn schließlich, dass wir Hunger haben. Ghrelin stimuliert außerdem Magenkontraktionen. Diese tragen zu einer schnelleren Magenentleerung bei und fördern so ebenfalls den Appetit.
Auch Insulin ist indirekt am Appetit und Sättigungsgefühl beteiligt
Wenn wir unserem Appetit nachgeben und etwas essen, dann hat das in unserem Körper mehrere Effekte. Durch die Dehnung der Magenwand werden Nervensignale an das Gehirn gesendet, die bewirken, dass weniger Ghrelin ausgeschüttet wird. Außerdem steigt durch die Aufnahme der Nahrung der Glucosespiegel im Blut (Blutzuckerspiegel) an. Bei gesunden Menschen bewirkt diese Steigerung eine Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas).

(Quelle: Canva)
Insulin bewirkt im Körper mehrere Vorgänge. Zum einen wird die Durchlässigkeit der Zellmembranen für Glucose in der Muskulatur und im Fettgewebe erhöht. Das führt zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels. Zum anderen hemmt Insulin die Bildung von Ghrelin in der Magenschleimhaut und sendet außerdem (wieder über biochemische Signalwege) eine Nachricht ans Gehirn, die bewirkt, dass auch dort der Befehl gegeben wird, weniger Ghrelin auszuschütten. Weniger Ghrelin bedeutet, dass das Hungergefühl nachlässt.
Leptin ist das Sättigungshormon

Relative Pegel von Ghrelin und Leptin im Blut vor und nach der Nahrungsaufnahme
(Quelle: Canva)
Leptin ist ebenfalls ein Hormon. Es wird hauptsächlich von den Adipozyten (Fettzellen) produziert und als „Sättigungshormon” bezeichnet, weil es das Hungergefühl reduziert. Das Insulin, das durch Steigerung des Blutzuckerspiegels ausgeschüttet wird, fördert nicht nur die Aufnahme von Glukose in die Zellen, sondern stimuliert auch die Produktion und Freisetzung von Leptin aus den Fettzellen. Schließlich bindet Leptin noch an spezifische Leptin-Rezeptoren im Gehirn und wirkt außerdem im Magen auf die Ghrelin-produzierenden Zellen. Das Ergebnis ist ein Nachlassen des Hungers.
THC gelangt über das Blut in alle Regionen des Körpers
Cannabis wird in der Regel geraucht, verdampft oder wird in Form von Edibles konsumiert. Beim Rauchen oder Verdampfen gelangen die Inhaltsstoffe – von Bedeutung ist hier vor allem THC – über die Lunge in den Blutkreislauf. Wird Cannabis in Form von Essbarem konsumiert, werden die Cannabinoide über den Verdauungstrakt aufgenommen und gelangen auch ins Blut. Die folgenden Zusammenhänge wurden unter anderem im Labor an Mäusen und Ratten nachgewiesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Wirkmechanismus beim Menschen ähnlich abläuft. Das Blut transportiert das THC in alle Regionen unseres Körpers. In vielen Organen und Geweben befinden sich CB1-Rezeptoren. Das sind Proteine, die dort ähnlich wie die Ghrelin-Rezeptoren in den Membranen sitzen.
THC greift in die Hormonregulation ein

Eine Ursache, wie THC das Hungergefühl beeinflusst, findet im Magen statt. Die weiter oben erwähnten Ghrelin-produzierenden Zellen tragen CB1-Rezeptoren. Wenn THC an diese bindet, wird Ghrelin freigesetzt und der gleiche Mechanismus, der bei leerem Magen den Appetit steigert, wird in Gang gesetzt. THC wirkt aber auch direkt im Gehirn auf die dortigen CB1-Rezeptoren, vor allem im Hypothalamus.
Das ist ein Teil des Zwischenhirns, von dem aus unter anderem Hunger, Sättigungsgefühl und die Nahrungsaufnahme gesteuert werden. Die Bindung des Cannabinoids an die CB1-Rezeptoren im Hypothalamus bewirkt dabei teilweise das gleiche wie Ghrelin: Es werden NPY-produzierende Nervenzellen aktiviert, was zu einer erhöhten Ausschüttung von Neuropeptid Y (NPY) führt. Und NPY ist ein Appetitanreger, der das Verlangen nach Nahrung und die Aufnahme von kalorienreichen Lebensmitteln verstärkt.
Zusammengefasst: THC verändert bereits vorhandene Stoffwechselprozesse
Der menschliche Körper ist mit seinen ausgeklügelten Systemen wie Nervensystem, Verdauungstrakt, Blutkreislauf etc. ein wahres Wunderwerk. Wer auf sich selbst achtet, bei dem befinden sich diese Systeme in der Regel im Gleichgewicht (es sei denn, man hat eine chronische Krankheit). Das heißt, der Körper reguliert durch die genannten Systeme basierend auf der Notwendigkeit die Nahrungsmittelaufnahme. THC als Cannabiswirkstoff schafft (wie auch viele andere Medikamente/Drogen) keine neuen Strukturen oder Abläufe, sondern greift in die vorhandenen ein.

- THC stimuliert in den Zellen des Verdauungstrakts über dortige CB1-Rezeptoren die Ghrelinproduktion. Ghrelin wirkt im Gehirn auf entsprechende Rezeptoren. Als Ergebnis werden appetitanregende Hormone freigesetzt und wir verspüren Hunger.
- THC stimuliert im Gehirn weitere CB1-Rezeptoren, was ebenfalls die Freisetzung appetitanregender Hormone bewirkt, und wir verspüren Hunger.
Appetitlosigkeit gilt unter Medizinern übrigens als etablierte Indikation für cannabisbasierte Medikamente (13) (14). Ich hatte in einem meiner vorherigen Artikel schon auf die vielen Krankheitsindikationen hingewiesen, die bereits mit Cannabis behandelt wurden.
Ein paar persönliche Gedanken zum Schluss
Wenn wir die Zusammenhänge zwischen Cannabis und unserem Heißhunger verstehen, können wir bewusster mit unserem Konsum umgehen. Vielleicht hilft es uns auch, bessere Konsum-Entscheidungen zu treffen, wenn wir wissen, was in unserem Körper vor sich geht. Die Wissenschaft um Cannabis ist ein schnell wachsendes Feld und es gibt noch viel zu entdecken und zu erforschen. Zahlreiche Studien und Artikel befassen sich mit den verschiedenen Auswirkungen von Cannabis auf unseren Körper und Geist. Genug, um zum Experten dafür zu werden, was mit dem eigenen Körper beim Konsum passiert.
Und selbst, wenn ihr keine Experten werdet, sondern einfach nur genießen möchtet, ist das okay. Denn, wenn ihr nach dem Cannabiskonsum wieder einmal unkontrollierbaren Heißhunger verspürt, denkt daran: Es ist nicht euer Wille, der schwach ist, sondern die Biochemie in eurem Gehirn. Aber hey, wer kann schon widerstehen, wenn die eigenen Hormone einen zum Kühlschrank locken? Hauptsache, es schmeckt!
Wenn euch der Artikel gefallen hat oder ihr Ideen für eine weitere Fragestellung habt, dann schreibt mir doch einen Kommentar.
Weiterführende Quellen
- 1 https://www.hanf-magazin.com/allgemeines-zum-thema-hanf/ursache-fuer-heisshunger-bei-cannabiskonsum/
- 2 Kleine, Bernhard; Rossmanith, Winfried: Hormone und Hormonsystem – Lehrbuch der Endokrinologie, Heidelberg 2014
- 3 https://www.nature.com/articles/s41598-023–50112‑5
- 4 Ando, Hironori; Ukena, Kazuyoshi and Shinji Nagata: Handbook of Hormones — Comparative Endocrinology for Basic and Clinical Research, 2021
- 5 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9750929/
- 6 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3566541/
- 7 https://www.smithsonianmag.com/science-nature/scientific-explanation-how-marijuana-causes-munchies-180949660/
- 8 http://dx.doi.org/10.1038/nn.3647
- 9 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2212877815000605
- 10 https://flexikon.doccheck.com/de/Agouti-related_Peptid
- 11 https://flexikon.doccheck.com/de/Neuropeptid_Y
- 12 https://www.researchgate.net/publication/305717197_The_Fat_Side_of_the_Endocannabinoid_System_Role_of_Endocannabinoids_in_the_Adipocyte
- 13 https://www.aerzteblatt.de/archiv/186476/Medizinisches-Cannabis-Die-wichtigsten-Aenderungen
- 14 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34181977/