Im Oktober 2024 machte innerhalb der Cannabiscommunity eine „Studie“ der Sanity Group die Runde. Die Sanity Group vertreibt unter anderem unter dem Namen „Avaay Medical“ medizinische Cannabisblüten. Das Ergebnis der Untersuchung: Straßencannabis – also das vom Dealer aus dem Park (oder wo man sonst so seine Drogen kauft) – sei kontaminiert. Man will unter anderem Spuren von Kokain, Pestiziden, Haarspray, Fäkalien, Bakterien und Viren auf den Blüten nachgewiesen haben. Die Kernaussage: Straßencannabis ist verunreinigt und gefährlich für den Konsumenten. Wir brauchen Fachgeschäfte und eine regulierte Abgabe. Dieser Erkenntnis stimme ich zu, der angeblich wissenschaftliche Weg dorthin ist jedoch eher fragwürdig.
Innerhalb der Cannabiscommunity ist diese Einsicht nicht neu und eines der Hauptargumente für eine vollständige Legalisierung inklusive überwachten Anbaus und Qualitätskontrolle. Ich möchte in diesem Artikel auch nicht abstreiten, dass Gras vom Schwarzmarkt seine Tücken hat. Im besten Fall raucht man Blüten aus einem sauberen Homegrow. In der Regel ist das, was man da in den kleinen Plastiktüten kauft, aber mit irgendwas gestreckt. Das können im besten Fall Küchenkräuter sein, im schlimmsten Fall eben Haarspray oder andere Substanzen. Mir geht es in diesem Artikel auch nicht um die Aussage, dass illegal erworbenes Cannabis verunreinigt ist. Es geht mir eher um die Methode, mit der die Ergebnisse ermittelt wurden.
Wissenschaftliche Gütekriterien: Objektivität, Reliabilität und Validität
Jede quantitative Untersuchung (d.h. Untersuchung, bei der die Menge von etwas gemessen wird), die den Anspruch erhebt, für die Wissenschaft gültige Ergebnisse zu liefern, muss drei Gütekriterien erfüllen. Diese Kriterien sind Objektivität, Reliabilität und Validität.
Validität: Eine Messung gilt als valide, wenn tatsächlich das gemessen wird, was gemessen werden soll. Die Ergebnisse gelten somit als glaubwürdig.
Reliabilität: Die Reliabilität einer Untersuchung bezieht sich darauf, ob eine Untersuchung bei wiederholter Durchführung immer die gleichen oder zumindest ähnliche Ergebnisse liefert.
Objektivität: Eine Untersuchung ist objektiv, wenn keine ungewollten Einflüsse durch die Personen entstehen, die daran beteiligt sind.
Fragestellung und Methodik der Avaay-Untersuchung
Die Fragestellung der Untersuchung lautete: Welche nicht-cannabinoiden Verbindungen sind in Straßencannabis enthalten? Glücklicherweise stellt Avaay Informationen zu seiner Analysemethodik zur Verfügung. Und schon die erste Beschreibung des Vorgehens lässt an den Ergebnissen zweifeln:
„Über einen Aufruf auf der Plattform „Reddit” konnten wir genügend Freiwillige gewinnen, die sich bereit erklärten, ihr über den Schwarzmarkt bezogenes Cannabis mithilfe eines versiegelten Testkits einschließlich Standortinformationen und Zeitstempel zur Analyse an unser Forschungsteam zu senden.“
So heißt es auf dem Internetauftritt des Unternehmens. Das den Reddit-Usern zugesandte Testkit enthielt dabei laut Angaben von Avaay „ein Reagenzglas mit einem Tupfer zur Durchführung der Hochleistungsflüssigkeitschromatographie, vier separate kolorimetrische Tests für die aufgeführten Drogen, einen Test auf fäkale Indikatorbakterien, drei PCR-Tests für die angegebenen Bakterien, ein Paar sterile Handschuhe und eine Maske. Aber entsprechen die so erhaltenen Ergebnisse wirklich wissenschaftlichen Gütekriterien? Der Anspruch von Avaay Medical scheint mir da doch sehr niedrig zu sein. Werfen wir einen Blick auf die Kriterien:
Validität der Untersuchung: Gültigkeit der Ergebnisse
Bei der Validität geht es darum, ob das Ergebnis der Studie wirklich durch die untersuchten Faktoren beeinflusst wurde und nicht durch andere, zufällige Einflüsse. Die Validität der beschriebenen Untersuchung hängt von mehreren Faktoren ab, darunter die Methode der Probenentnahme, die angewandten Analysemethoden und die Stichprobenqualität.
Positiv hervorzuheben sind die gewählten Nachweismethoden. Instrumentelle Nachweiswege, wie Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) und Liquid Chromatography-Tandem Mass Spectrometry (LC-MS/MS) gehören zu den bewährten Techniken für die Detektion von Pestiziden, Schwermetallen und anderen Kontaminationen. Die Wahl dieser Techniken spricht dafür, dass die Ergebnisse hinsichtlich der nachgewiesenen Substanzen zuverlässig sind.
Auch im Hinblick auf Dokumentation und die Transparenz kann man Avaay nichts vorwerfen. Die verwendeten Analysemethoden und Substanzen werden detailliert beschrieben und ermöglichen anderen, die Ergebnisse nachzuvollziehen oder ähnliche Analysen durchzuführen.
Probenahme und Repräsentativität: Potenzielle Verzerrungen
Im Hinblick auf die Probenahme und die Repräsentativität der Proben könnte
es allerdings zu Verzerrungen kommen. Zum einen basiert die Untersuchung auf freiwilligen Proben, deren Spender auf der Plattform „Reddit“rekrutiert wurden. Die Stichprobe könnte daher eine Verzerrung aufweisen, weil sie möglicherweise nur bestimmte Konsumentengruppen anspricht. Da die Proben außerdem von den Teilnehmern selbst entnommen und versendet wurden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kontamination nicht auf den Proben selbst vorlag, sondern von den Teilnehmern verursacht wurde. Dies gilt vielleicht nicht für Pestizide und Substanzen wie Haarspray. Fäkalbakterien, COVID-Viren und andere („stärkere“) Drogen lassen aber die Vermutung zu, dass die Probenentnahme nicht in einem sterilen Umfeld, sondern eher auf einem ungereinigten „Rolling Tray“ stattgefunden hat; mit ungewaschenen Händen und Resten der genannten Substanzen. Auch kann nicht sichergestellt werden, dass die mitgelieferten Handschuhe und der Mundschutz korrekt angelegt oder überhaupt getragen wurden. Genauso können andere anwesende Personen oder Haustiere zur Kontamination beitragen, selbst wenn Handschuhe und Mundschutz bei der Proben nehmenden Person korrekt angelegt wurden.
Reliabilität der Avaay-Studie: Zuverlässigkeit der Ergebnisse
Die Reliabilität einer Untersuchung ist ein Maß dafür, wie zuverlässig und konsistent die Ergebnisse sind, wenn die gleichen Bedingungen und Methoden wiederholt angewendet werden. Bei der Studie von Avaay lässt sich die Reliabilität anhand mehrerer Faktoren bewerten:
Die verwendeten Techniken, wie HPLC und LC-MS/MS, sind in der chemischen Analytik für ihre hohe Präzision und Wiederholbarkeit bekannt. Wenn diese unter kontrollierten Bedingungen verwendet werden (und das ist in spezialisierten Unternehmen aus der Pharmaindustrie normalerweise der Fall), sind sie in der Regel reliabel. Es können also gleiche Ergebnisse bei der erneuten Messung ein und derselben Probe erwartet werden.
Wie schon bei der Bewertung der Validität, spielt auch bei der Reliabilität die Dokumentation der Methodik eine große Rolle. Andere Forschende erhalten so die Möglichkeit, den Ablauf nachzuvollziehen und auf die gleiche Art zu wiederholen. Die dokumentierte Methodik in dieser Avaay-Studie gibt einen detaillierten Einblick in den Ablauf der Analysen, was positiv für die Reliabilität spricht, zumindest in Bezug auf die Laborergebnisse.
Die Probe wurde von Freiwilligen entnommen und mit der Post versandt. Um zuverlässige und konsistente Ergebnisse zu bekommen, bedarf es standardisierter Probeentnahmebedingungen. Neben der bereits oben erwähnten nicht sterilen Arbeitsumgebung können auch Faktoren wie u.a. Temperatur und Luftfeuchtigkeit die Proben beeinflussen und eine Inkonsistenz in den Analyseergebnissen hervorrufen. Die Reliabilität der Laboranalysen selbst scheint also hoch zu sein, während die Reliabilität der Studie insgesamt durch die unkontrollierte Probenentnahme eingeschränkt ist.
Objektivität der Untersuchung: Unabhängigkeit der Ergebnisse
Die Objektivität einer wissenschaftlichen Untersuchung bezieht sich darauf, inwieweit die Ergebnisse unabhängig von Einflüssen der Forscher sind und somit frei von subjektiven Verzerrungen (Bias). Bei der Betrachtung der Avaay-Studie hinsichtlich der Objektivität treten ähnliche Problematiken auf wie schon bei der Validität und der Reliabilität.
Die verwendeten instrumentellen Messmethoden wie Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) und Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) sind standardisierte und automatisierte Methoden, die wenig Spielraum für Interpretationen oder subjektive Einflüsse der sie bedienenden Personen lassen. Sie liefern objektive, quantifizierbare Ergebnisse
Da die Probenentnahme nicht unter direkter wissenschaftlicher Aufsicht erfolgt ist, sondern die Proben von Freiwilligen gesammelt wurden, kann die Objektivität beeinträchtigt sein. Dies bedeutet aber keine Beeinflussung durch das Messpersonal, sondern eher eine potenzielle Unregelmäßigkeit in der Probenbasis. Außerdem kann die Auswahl der Freiwilligen oder die Einladung zur Teilnahme über bestimmte Kanäle zu Verzerrungen der Ergebnisse führen.
Die Analyse und Auswertung der Ergebnisse wird in Unternehmen aus der Pharmabranche in der Regel strikt protokolliert und unabhängig von den subjektiven Erwartungen der Forscher durchgeführt. Die Objektivität kann hier demnach als hoch eingestuft werden. Es wäre optimal, wenn die Untersuchung von einer unabhängigen Kontrollinstanz überprüft oder die Datenauswertung von mehreren Forschern unabhängig durchgeführt wurde. Ob dies stattgefunden hat, vermag ich anhand der mir vorliegenden Daten nicht zu beurteilen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Objektivität der Labormessungen durch die standardisierten Analyseverfahren gewährleistet ist. Die Objektivität der gesamten Untersuchung könnte allerdings durch die potenziellen Variablen bei der Probenentnahme durch die Teilnehmer beeinflusst worden sein.
Fazit: Vorsicht vor verkürzten Argumentationen
Die Untersuchung von Avaay zeigt in Bezug auf die Gütekriterien der Validität, Reliabilität und Objektivität Stärken und Schwächen, die zusammengefasst wie folgt zu bewerten sind:
- Validität: Die Untersuchung liefert zwar wertvolle Einblicke in die in Straßencannabis gefundenen nicht-cannabinoiden Verbindungen, weist jedoch aufgrund der Probenbeschaffung durch freiwillige Einsendungen nur eingeschränkte Validität auf. Die Auswahl der Proben ist nicht repräsentativ für den gesamten Markt, weshalb die Ergebnisse nur eingeschränkt verallgemeinerbar sind. Die Methoden zur chemischen Analyse (HPLC und LC-MS/MS) jedoch angemessen, um spezifische Substanzen nachzuweisen.
- Reliabilität: Die angewandten Analyseverfahren (HPLC und LC-MS/MS) bieten ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und könnten bei wiederholten Analysen ähnliche Ergebnisse liefern. Auch die Reliabilität ist durch die Methodik der Probensammlung eingeschränkt.
- Objektivität: Die Untersuchung ist in der Auswertung durch die automatisierten chemischen Analysemethoden objektiv. Die mangelnde Kontrolle über die Probenherkunft könnte jedoch potenzielle Verzerrungen einführen, da bestimmte Arten von Proben möglicherweise systematisch unter- oder überrepräsentiert sind.
Die Untersuchung ist demnach zwar grundsätzlich geeignet, um Hinweise auf die Art der nicht-cannabinoiden Verbindungen in Straßencannabis zu liefern. Trotzdem wäre eine methodisch strengere Studie mit repräsentativer Probenentnahme notwendig, um die Frage, welche nicht-cannabinoiden Verbindungen im Straßencannabis-Markt vorkommen, korrekt zu beantworten.
Krautwissens Senf dazu
Dass die Cannabisblüten (und auch die Extrakte), die man auf dem sog. Schwarzmarkt kaufen kann, keiner Qualitätskontrolle unterliegen, ist bei Konsumenten kein Geheimnis. Wenn im Rahmen politischer Debatten über eine Legalisierung von Cannabis diskutiert wird, ist es sogar eines der Hauptargumente, nicht nur im Hinblick auf die Legalisierung von Cannabis, sondern in Bezug auf alle Drogen. Man stelle sich vor, der Deutschen liebste Substanz Alkohol würde unkontrolliert in irgendwelchen Hinterhöfen gebraut oder gebrannt oder käme aus ausländischer Produktion, die keiner Qualitätskontrolle unterliegt.
Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, sich einerseits zu fragen, welche nicht-cannabinoiden Verbindungen sich im Schwarzmarktcannabis befinden und dies andererseits auch nachzuweisen. Es ist nur sehr schade, dass dies durch ein Unternehmen der Pharmabranche geschehen muss und nicht durch beispielsweise öffentliche Stellen, die dann auf Basis der erhaltenen Ergebnisse Schlüsse für die zukünftige Drogenpolitik ziehen.
Der Zugang zu medizinischem Cannabis ist fast so leicht wie der zu Ibuprofen
Der Markt für medizinisches Cannabis wird von Unternehmen aus der Pharmabranche kontrolliert. Der Zugang zu medizinischem Cannabis ist mit dem Wegfall von Cannabis aus dem BtMG sehr niedrigschwellig geworden. Telemedizinanbieter sprießen wie Pilze aus dem Boden und jeder Lifestyle-Konsument, der die Chuzpe besitzt, den Ärzten dieser Hotlines eine Krankheitslüge aufzutischen, kommt günstig an sein Kraut. Die direkte Konkurrenz dazu bilden die gerade erst entstehenden Cannabis-Anbauvereinigungen (Cannabis Social Clubs), denen mit bürokratischen Hürden der Weg zur Anbaulizenz erschwert wird.
Ich bin ein Fan davon, Missstände zu benennen und das Ganze wissenschaftlich zu untermauern. Die obengenannten Messergebnisse haben mit ihrer Veröffentlichung wahrscheinlich dazu geführt, dass die öffentliche Diskussion z.B. über niedrigschwellige Drugchecking-Angebote oder den Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften nicht an Fahrt verliert. Wenn man aber wirklich hieb- und stichfest argumentieren möchte, dann braucht man dafür Ergebnisse, die wissenschaftlichen Gütekriterien genügen. Die oben genannte Studie stellt durch ihre Mängel eher ein Strohfeuer dar. Und das Licht dieses Feuers fällt auf die Hersteller von medizinischem Cannabis.
Bildet euch! Bildet andere! Bildet Anbauvereinigungen!
Ich möchte hier keinem Unternehmen das Recht auf (gutes) Marketing absprechen. Aber wenn du als Leser auf diesen Blog gestoßen bist, mehr oder weniger Cannabis konsumierst und dich für die Legalisierung einsetzen möchtest, dann schließ dich einer Anbauvereinigung an. Die Pharmaindustrie gibt sich bei der Herstellung von Cannabis schon Mühe – saubere Labore, weiße Kittel, jede Menge Prüfungen… top! Da kriegt man steriles Gras, das genau so aufregend ist wie ein Krankenhausaufenthalt. Aber für Cannabispatienten genau das Richtige. Schon um deren Status nicht zu verunglimpflichen, sollten Freizeitkonsumenten auf medizinisches Cannabis verzichten. Medizin ist für kranke Menschen da und auch für ihre Bedürfnisse. Bestimmen Freizeitkonsumenten diesen Markt, richtet sich der Markt ja auch an ihnen aus, was für diejenigen fatal wäre, die medizinisch darauf angewiesen sind.
In einer Anbauvereinigung geht’s um mehr als nur Laborstandards – da gibt’s Gemeinschaft, Selbstbestimmung und Gras, das auch wirklich nach was schmeckt. Hier kannst Du nicht nur mitentscheiden, wie’s angebaut wird, sondern lernst auch von Leuten, die genauso viel Leidenschaft reinstecken wie Du. Und wer’s ganz persönlich mag, kann gleich selbst im eigenen Wohnzimmer zum Gärtner werden – ganz ohne sterile Handschuhe und Klinik-Atmosphäre.
Also, wenn Du Dich entscheiden kannst zwischen Massenproduktion und einem Gras, das tatsächlich nach Handarbeit und Charakter schmeckt … sag mir nicht, Du wählst die weiße Kittel-Nummer!
Was denkst du über die Angebote der Pharmaindustrie im Vergleich zum (gemeinschaftlichen) Eigenanbau? Hast du schon Erfahrungen gemacht? Teile deine Meinung in den Kommentaren! Lass uns darüber diskutieren, warum der eigene Anbau und die Gemeinschaft nicht nur nachhaltiger, sondern auch viel erfüllender sind!