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Kif­fen macht dumm

„Kif­fen macht dumm” – ein Kli­schee, das sich hart­nä­ckig in der öffent­li­chen Mei­nung hält (1)(2)(3). Doch stimmt das? Die wis­sen­schaft­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit Can­na­bis und sei­nen Aus­wir­kun­gen auf die kogni­ti­ve Leis­tungs­fä­hig­keit zeigt ein wesent­lich kom­ple­xe­res Bild. Gera­de in Zei­ten zuneh­men­der Akzep­tanz und Lega­li­sie­rung von Can­na­bis ist es wich­tig, Vor­ur­tei­le mit fun­dier­ten Fak­ten zu hin­ter­fra­gen.

In die­sem Arti­kel wer­fe ich einen Blick auf eine aktu­el­le Stu­die, die über 40 Jah­re hin­weg den Zusam­men­hang zwi­schen Can­na­bis­kon­sum und kogni­ti­vem Abbau unter­sucht hat. Die Ergeb­nis­se von Wis­sen­schaft­lern der Uni­ver­si­tät Kopen­ha­gen wur­den 2024 ver­öf­fent­licht.
Ich wer­de im Fol­gen­den nicht nur die Ergeb­nis­se der For­schung erklä­ren, son­dern auch Ein­bli­cke geben, wie wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en auf­ge­baut sind und war­um sie für die Bewer­tung sol­cher Fra­gen von ent­schei­den­der Bedeu­tung sind.

Wis­sen­schaft­li­ches Arbei­ten: Macht Kif­fen wirk­lich dumm?

Bevor wir uns den Ergeb­nis­sen der aktu­el­len Stu­die wid­men, ist es wich­tig zu ver­ste­hen, wie wis­sen­schaft­li­che For­schung auf­ge­baut ist und wie sie hilft, Vor­ur­tei­le wie „Kif­fen macht dumm” zu über­prü­fen. Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en fol­gen einem bewähr­ten Sche­ma, das Trans­pa­renz und Nach­voll­zieh­bar­keit garan­tiert (4). Die­se Struk­tur ist nicht nur ein aka­de­mi­sches Ide­al, son­dern eine Grund­la­ge für die Objek­ti­vi­tät der For­schung:

  1. Ein­lei­tung: Der Kon­text, die Pro­blem­stel­lung und die Zie­le der Unter­su­chung wer­den dar­ge­stellt.
  2. Theorie/Hintergrund: Hier wird der aktu­el­le Stand der For­schung erläu­tert und erklärt, war­um die Stu­die not­wen­dig ist.
  3. Metho­de: Das Stu­di­en­de­sign, die Daten­er­he­bung und die Ana­ly­se­me­tho­den wer­den beschrie­ben.
  4. Ergeb­nis­se: Die Daten und Befun­de wer­den prä­zi­se und ohne Inter­pre­ta­ti­on dar­ge­stellt.
  5. Dis­kus­si­on: Die Ergeb­nis­se wer­den inter­pre­tiert, mit ande­ren Stu­di­en ver­gli­chen, und es wer­den Ein­schrän­kun­gen sowie Impli­ka­tio­nen auf­ge­zeigt.
  6. Fazit: Eine abschlie­ßen­de Bewer­tung fasst die wich­tigs­ten Erkennt­nis­se zusam­men.

Die hier ana­ly­sier­te Stu­die aus Kopen­ha­gen (5) zu Can­na­bis und kogni­ti­vem Abbau folgt genau die­ser Struk­tur. In der Ein­lei­tung beleuch­ten die For­schen­den, dass Can­na­bis die am häu­figs­ten kon­su­mier­te und miss­brauch­te Sub­stanz auf der Sche­du­le-I-Lis­te der US-ame­ri­ka­ni­schen Dro­gen­be­hör­de (6) ist, wel­che Sub­stan­zen mit hohem Miss­brauchs­po­ten­zi­al umfasst. Obwohl es Hin­wei­se auf kurz­fris­ti­ge nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen von Can­na­bis­kon­sum auf die Kogni­ti­on gibt (7)(8), sind Stu­di­en zu die­sem Zusam­men­hang mit alters­be­ding­tem kogni­ti­ven Abbau sel­ten. Ziel der vor­lie­gen­den Stu­die war es, die­se Bezie­hung vom frü­hen Erwach­se­nen­al­ter bis ins spä­te mitt­le­re Alter zu unter­su­chen.

Hin­ter­grund: War­um war die­se Stu­die not­wen­dig?

 Es gibt weit­aus mehr Stu­di­en, die sich bereits die­sem The­ma gewid­met haben. Die­se      Stu­di­en zu Can­na­bis und Kogni­ti­on zei­gen ein unein­heit­li­ches Bild:

  • Kurz­fris­ti­ge Effek­te: Vie­le Stu­di­en wei­sen dar­auf hin, dass Can­na­bis kurz­fris­tig die Gedächt­nis­leis­tung, Auf­merk­sam­keit und exe­ku­ti­ven Funk­tio­nen beein­träch­ti­gen kann.
  • Lang­fris­ti­ge Effek­te: Ob und wie Can­na­bis lang­fris­tig den kogni­ti­ven Abbau beein­flusst, ist jedoch weni­ger klar. Man­che For­schungs­er­geb­nis­se deu­ten dar­auf hin, dass der Kon­sum, ins­be­son­de­re bei Beginn im Jugend­al­ter (9), die Ent­wick­lung von Intel­li­genz und Denk­ver­mö­gen beein­träch­ti­gen könn­te. Ande­re Stu­di­en fan­den hin­ge­gen kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de zwi­schen Nut­zern und Nicht-Nut­zern (10)(11).

For­schungs­lü­cke: Was fehlt, sind Lang­zeit­stu­di­en, die gro­ße Kohor­ten über Jahr­zehn­te hin­weg unter­su­chen, um fun­dier­te Aus­sa­gen zu lang­fris­ti­gen Effek­ten von Can­na­bis auf die Kogni­ti­on zu tref­fen. Die vor­lie­gen­de Stu­die, die ich hier fokus­sie­re, setzt genau hier an:

  • Sie ana­ly­siert Daten von über 5000 däni­schen Män­nern, die im jun­gen Erwach­se­nen­al­ter und erneut im spä­ten mitt­le­ren Alter getes­tet wur­den.
  • Durch die lan­ge Beob­ach­tungs­dau­er von über 40 Jah­ren und die gro­ße Teil­neh­mer­zahl wird ein ein­zig­ar­ti­ger Ein­blick in alters­be­ding­te Ver­än­de­run­gen und deren Zusam­men­hang mit Can­na­bis­kon­sum ermög­licht.

Die­ser theo­re­ti­sche Rah­men ver­deut­licht nicht nur die Not­wen­dig­keit der Stu­die, son­dern folgt auch einer wich­ti­gen Grund­re­gel wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens: Erkennt­nis­se wer­den immer im Kon­text bestehen­der For­schung ein­ge­ord­net, um bestehen­de Lücken zu schlie­ßen.

Wie wur­de die Stu­die durch­ge­führt? Ein Blick auf die Metho­dik

Die Metho­de einer wis­sen­schaft­li­chen Stu­die ist das Rück­grat, das sicher­stellt, dass die Ergeb­nis­se vali­de, nach­voll­zieh­bar (objek­tiv) und repro­du­zier­bar (relia­bel)
(Vali­di­tät, Nach­voll­zieh­bar­keit und Repro­du­zier­bar­keit im wis­sen­schaft­li­chen Sinn sind hier erklärt) sind. In der Stu­die an der Uni­ver­si­tät Kopen­ha­gen wur­de ein detail­lier­tes For­schungs­de­sign ver­wen­det, um den Zusam­men­hang zwi­schen Can­na­bis­nut­zung und kogni­ti­vem Abbau über Jahr­zehn­te hin­weg zu ana­ly­sie­ren.

Beschrei­bung der unter­such­ten Grup­pe

Die Unter­su­chung basiert auf einer außer­ge­wöhn­lich umfang­rei­chen Grup­pe von 5162 Män­nern aus Däne­mark, die zwi­schen 1949 und 1961 gebo­ren wur­den. Die­se Män­ner wur­den erst­mals im Alter von etwa 20 Jah­ren, im Rah­men ihrer Wehr­pflicht, auf ihre kogni­ti­ve Leis­tungs­fä­hig­keit getes­tet. Rund 44 Jah­re spä­ter, im mitt­le­ren bis spä­ten Erwach­se­nen­al­ter (Durch­schnitts­al­ter: 64 Jah­re), wur­den sie erneut unter­sucht. Die lan­ge Beob­ach­tungs­dau­er macht die Stu­die ein­zig­ar­tig und bie­tet eine soli­de Grund­la­ge, um alters­be­ding­te Ver­än­de­run­gen zu ana­ly­sie­ren.

Ein kur­zer Exkurs: Wie Ergeb­nis­se für alle Men­schen rele­vant wer­den

Wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en nut­zen häu­fig Stich­pro­ben, um Rück­schlüs­se auf eine grö­ße­re Grup­pe, die soge­nann­te Grund­ge­samt­heit, zu zie­hen. Die Grund­ge­samt­heit umfasst alle Men­schen, auf die die Ergeb­nis­se einer Stu­die zutref­fen sol­len – in die­sem Fall männ­li­che Erwach­se­ne, die Can­na­bis kon­su­mie­ren oder eben nicht kon­su­mie­ren.

Die unter­such­te Grup­pe von 5162 Män­nern stellt eine Stich­pro­be dar. Damit von die­ser Stich­pro­be Rück­schlüs­se auf die Grund­ge­samt­heit gezo­gen wer­den kön­nen, müs­sen zwei Bedin­gun­gen erfüllt sein:

  1. Reprä­sen­ta­ti­vi­tät: Die Stich­pro­be muss die Eigen­schaf­ten der Grund­ge­samt­heit mög­lichst genau abbil­den, etwa in Bezug auf Alter, Bil­dungs­stand und ande­re wich­ti­ge Merk­ma­le.
  2. Stich­pro­ben­grö­ße: Eine grö­ße­re Stich­pro­be ver­rin­gert den Ein­fluss von Zufalls­feh­lern und erhöht die Genau­ig­keit der Ergeb­nis­se.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Aspekt ist die sta­tis­ti­sche Power, die angibt, wie wahr­schein­lich es ist, dass eine Stu­die einen tat­säch­li­chen Effekt ent­deckt, wenn die­ser exis­tiert. Eine höhe­re Stich­pro­ben­grö­ße erhöht die sta­tis­ti­sche Power. Sta­tis­ti­sche Power wird in Pro­zent ange­ge­ben, wobei 80 % oder höher als Stan­dard gel­ten. Ein­fa­cher aus­ge­drückt: Mit einer hohen Power sinkt das Risi­ko, einen wich­ti­gen Effekt zu über­se­hen. (Wenn ihr also das nächs­te mal in all den aktu­el­len, hass­erfüll­ten Online­dis­kus­sio­nen wie­der auf „Spe­zia­lis­ten“ trefft, die z.B. Umfra­ge­er­geb­nis­se als nicht wahr erach­ten, weil sie selbst nicht gefragt wur­den, dann werft doch mal mit die­sen Begriff­lich­kei­ten um euch).

Die vor­lie­gen­de Stu­die erfüllt also alle nöti­gen Anfor­de­run­gen durch ihre gro­ße Stich­pro­ben­grö­ße, die eine hohe sta­tis­ti­sche Power ermög­licht, und die stan­dar­di­sier­ten Ver­fah­ren, die bei der Daten­er­he­bung ein­ge­setzt wur­den. Die lan­ge Beob­ach­tungs­dau­er trägt zusätz­lich dazu bei, dass die Ergeb­nis­se als beson­ders zuver­läs­sig gel­ten. Trotz­dem bleibt ein wich­ti­ger Punkt: Da die Stu­die aus­schließ­lich Män­ner unter­sucht hat, ist die Über­trag­bar­keit der Ergeb­nis­se auf Frau­en nicht auto­ma­tisch gege­ben (lei­der ist das bei vie­len medi­zi­ni­schen Unter­su­chun­gen der Fall).

Intel­li­genz­tests und Defi­ni­ti­on des kogni­ti­ven Abbaus

Die kogni­ti­ven Fähig­kei­ten wur­den mit dem Intel­li­genz­test Bør­ge Priens Prø­ve (BPP) gemes­sen, der spe­zi­ell für die däni­sche Wehr­pflicht ent­wi­ckelt wur­de (12). Der BPP wur­de so gestal­tet, dass er pra­xis­ori­en­tier­ter ist als vie­le ande­re Intel­li­genz­tests, da er gezielt auf die Anfor­de­run­gen im mili­tä­ri­schen Kon­text abge­stimmt wur­de. Im Ver­gleich zu theo­re­ti­sche­ren Tests kon­zen­triert sich der BPP auf die prak­ti­schen Denk- und Pro­blem­lö­sungs­fä­hig­kei­ten der Teil­neh­mer. Gleich­zei­tig ist der BPP stark mit der Wechs­ler-Intel­li­genz­ska­la kor­re­liert, einem welt­weit aner­kann­ten IQ-Test, was sei­ne Vali­di­tät als kogni­ti­ves Mess­in­stru­ment unter­streicht (13).

Unter Intel­li­genz ver­steht man im umgangs­sprach­li­chen Sin­ne meist die soge­nann­te kogni­ti­ve Intel­li­genz – also die Fähig­keit, logisch zu den­ken, Pro­ble­me zu lösen und Infor­ma­tio­nen zu ver­ar­bei­ten. Es ist mir jedoch bewusst, dass Intel­li­genz ein weit­aus viel­schich­ti­ge­res Kon­zept ist. So gibt es bei­spiels­wei­se emo­tio­na­le Intel­li­genz, die die Fähig­keit beschreibt, eige­ne und frem­de Emo­tio­nen zu erken­nen und zu steu­ern, oder sozia­le Intel­li­genz, die im Umgang mit ande­ren Men­schen eine Rol­le spielt. Die vor­lie­gen­de Stu­die kon­zen­triert sich jedoch aus­schließ­lich auf kogni­ti­ve Intel­li­genz und deren Ver­än­de­rung im Lau­fe der Zeit. Zudem wur­den die Ergeb­nis­se des BPP stan­dar­di­siert, sodass die IQ-Wer­te zwi­schen den bei­den Mess­zeit­punk­ten ver­gleich­bar sind. Kogni­ti­ver Abbau wur­de dabei als die Dif­fe­renz zwi­schen den IQ-Wer­ten im jun­gen Erwach­se­nen­al­ter und im spä­te­ren Leben defi­niert.

Erfas­sung der Can­na­bis­nut­zung

Bei der Nach­un­ter­su­chung wur­den die Teil­neh­mer zu ihrem Can­na­bis­kon­sum befragt. Dazu zähl­ten:

  • Häu­fig­keit des Kon­sums: Die Stu­die klas­si­fi­zier­te den Kon­sum als “häu­fig”, wenn Can­na­bis min­des­tens zwei­mal pro Woche kon­su­miert wur­de. Die­se Schwel­le wur­de gewählt, um regel­mä­ßi­gen Kon­sum klar von gele­gent­li­chem oder spo­ra­di­schem Gebrauch abzu­gren­zen. Per­so­nen mit einem Kon­sum unter die­ser Schwel­le wur­den nicht als “häu­fi­ge Nut­zer” gezählt, unab­hän­gig von der Kon­sum­dau­er. Es gab kei­ne zusätz­li­chen Kate­go­rien wie “sehr häu­fig” oder “täg­li­cher Kon­sum”.
  • Alter beim Kon­sum­be­ginn: ein­ge­teilt in drei Grup­pen: unter 18 Jah­ren, zwi­schen 18 und 25 Jah­ren, sowie über 25 Jah­ren.
  • Dau­er des Kon­sums: Anzahl der Jah­re mit regel­mä­ßi­gem Kon­sum.

Da die Befra­gung erst bei der Nach­un­ter­su­chung statt­fand, basie­ren die­se Daten auf den Erin­ne­run­gen der Teil­neh­mer. Sol­che retro­spek­ti­ven Anga­ben kön­nen durch Erin­ne­rungs­ver­zer­run­gen beein­flusst wer­den, was ein poten­zi­el­ler Schwach­punkt der Stu­die ist. Den­noch lie­fern sie wert­vol­le Ein­bli­cke, da sie es den For­schern ermög­lich­ten, die Aus­wir­kun­gen des Kon­sums auf den kogni­ti­ven Abbau prä­zi­se zu ana­ly­sie­ren.

Berück­sich­tig­te Kova­ria­ten

In wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en ist es ent­schei­dend, soge­nann­te Kova­ria­ten zu berück­sich­ti­gen. Dabei han­delt es sich um beglei­ten­de Varia­blen, die die Ergeb­nis­se beein­flus­sen könn­ten, ohne direkt Teil der Unter­su­chung zu sein. Wenn man die­se Fak­to­ren nicht ein­be­zieht, könn­te man fal­sche Rück­schlüs­se zie­hen.

In die­ser Stu­die wur­den eine Viel­zahl sol­cher Kova­ria­ten ein­be­zo­gen, um mög­li­che Ver­zer­run­gen zu ver­mei­den:

  • Bil­dung: Men­schen mit höhe­rem Bil­dungs­grad haben oft ande­re kogni­ti­ve Aus­gangs­wer­te und Ver­hal­tens­mus­ter, die sich auf den kogni­ti­ven Abbau aus­wir­ken kön­nen. Die Anzahl der Schul- und Aus­bil­dungs­jah­re wur­de daher erfasst.
  • Alko­hol- und Tabak­kon­sum: Die­se Lebens­ge­wohn­hei­ten sind bekann­te Risi­ko­fak­to­ren für die Gesund­heit und kön­nen auch die kogni­ti­ve Leis­tungs­fä­hig­keit beein­flus­sen. Beson­ders star­ker Alko­hol­kon­sum (“Bin­ge Drin­king”) wur­de genau­er unter­sucht.
  • Psy­chi­sche und kör­per­li­che Gesund­heit: Hier wur­den medi­zi­ni­sche Dia­gno­sen berück­sich­tigt, die eben­falls mit der kogni­ti­ven Leis­tungs­fä­hig­keit zusam­men­hän­gen kön­nen.

Die Berück­sich­ti­gung all die­ser Fak­to­ren ist eine gro­ße Stär­ke der Stu­die. Sie ermög­licht eine dif­fe­ren­zier­te Ana­ly­se, da mög­li­che Stör­va­ria­blen mini­miert wer­den. Im Ver­gleich zu ande­ren Stu­di­en zeigt dies, wie gründ­lich die­se Unter­su­chung designt wur­de. Gleich­zei­tig erin­nert es dar­an, wie kom­plex es ist, mensch­li­ches Ver­hal­ten, Sub­stanz­kon­sum und Gesund­heit wis­sen­schaft­lich zu unter­su­chen. Gera­de des­halb ist es wich­tig, sol­che Kova­ria­ten zu berück­sich­ti­gen, um fun­dier­te und zuver­läs­si­ge Ergeb­nis­se zu erzie­len.

Ergeb­nis­se der vor­lie­gen­den Stu­die

Haupt­fun­de

Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass Can­na­bis­nut­zer im Durch­schnitt einen gerin­ge­ren kogni­ti­ven Abbau auf­wie­sen als die Grup­pe der Nicht-Nut­zer. Wäh­rend bei den Nicht-Nut­zern ein Rück­gang des IQ um 6,8 Punk­te fest­ge­stellt wur­de, lag die­ser Wert bei den Can­na­bis­nut­zern bei 5,3 Punk­ten. Die­ser Unter­schied blieb auch dann bestehen, als wei­te­re Ein­fluss­fak­to­ren wie Bil­dung und Alko­hol­kon­sum in die Ana­ly­se ein­be­zo­gen wur­den.

Kei­ne signi­fi­kan­ten Unter­schie­de bei Alter und Häu­fig­keit des Kon­sums

Weder das Alter, in dem die Teil­neh­mer erst­mals Can­na­bis kon­su­mier­ten, noch die Häu­fig­keit des Kon­sums hat­ten einen erkenn­ba­ren Ein­fluss auf den kogni­ti­ven Abbau. Sogar Teil­neh­mer, die bereits vor ihrem 18. Lebens­jahr mit dem Kon­sum begon­nen hat­ten, zeig­ten kei­nen stär­ke­ren Abbau als die­je­ni­gen, die spä­ter damit anfin­gen.

Grup­peDurch­schnitt­li­cher IQ-Rück­gangSigni­fi­kanz
Nicht-Nut­zer6,8 Punk­teRefe­renz
Can­na­bis­nut­zer5,3 Punk­tep < 0,001
Tabel­le: Haupt­fun­de der Stu­die

Also, macht Can­na­bis­kon­sum nun dumm? Um die Ergeb­nis­se rich­tig ein­zu­ord­nen, hilft ein Blick auf mög­li­che Ursa­chen und metho­di­sche Ein­schrän­kun­gen.

Dis­kus­si­on

Ein­ord­nung der Ergeb­nis­se

Die Ergeb­nis­se bestä­ti­gen, was eini­ge frü­he­re Stu­di­en bereits ange­deu­tet haben: Der Kon­sum von Can­na­bis führt offen­bar nicht zwangs­läu­fig zu einem stär­ke­ren kogni­ti­ven Abbau. Inter­es­san­ter­wei­se schnit­ten die Can­na­bis­nut­zer in die­ser Stu­die sogar etwas bes­ser ab als die Nicht-Nut­zer. Dies könn­te aller­dings auch an Fak­to­ren lie­gen, die nicht voll­stän­dig erfasst wur­den, wie bei­spiels­wei­se eine unter­schied­li­che Grund­in­tel­li­genz oder sozia­le Unter­schie­de.

Poten­zi­el­le Erklä­run­gen

Ein mög­li­cher Grund für den gerin­ge­ren kogni­ti­ven Abbau bei Can­na­bis­nut­zern könn­te in den neu­ro­pro­tek­ti­ven Eigen­schaf­ten von Can­na­bi­no­iden lie­gen, die in eini­gen Tier­stu­di­en (nicht in die­ser Stu­die!) gezeigt wur­den (14). Es ist aber auch denk­bar, dass Can­na­bis­nut­zer auf­grund ihrer Lebens­er­fah­run­gen und sozia­len Netz­wer­ke ande­re kogni­ti­ve Res­sour­cen ent­wi­ckeln.

Metho­di­sche Ein­schrän­kun­gen

Trotz der span­nen­den Ergeb­nis­se gibt es eini­ge Ein­schrän­kun­gen. Die Erhe­bung der Can­na­bis­nut­zung basiert auf Selbst­aus­künf­ten, was zu Ver­zer­run­gen füh­ren kann. Zudem umfasst die Kohor­te wie bereits erwähnt aus­schließ­lich Män­ner, wodurch die Über­trag­bar­keit der Ergeb­nis­se auf Frau­en frag­lich ist.

Fazit zur Aus­sa­ge­kraft der Ergeb­nis­se

Trotz die­ser metho­di­schen Ein­schrän­kun­gen lie­fert die Stu­die wert­vol­le Hin­wei­se dar­auf, dass gele­gent­li­cher Can­na­bis­kon­sum kei­nen dra­ma­ti­schen Ein­fluss auf die geis­ti­ge Leis­tungs­fä­hig­keit im Alter hat.

Schluss­fol­ge­rung

Die­se umfang­rei­che Lang­zeit­stu­die zeigt, dass der Can­na­bis­kon­sum nicht zwangs­läu­fig mit einem stär­ke­ren kogni­ti­ven Abbau ein­her­geht. Im Gegen­teil: Die unter­such­ten Can­na­bis­nut­zer zeig­ten sogar einen etwas gerin­ge­ren IQ-Ver­lust als die Nicht-Nut­zer.

Bedeu­tung der Ergeb­nis­se

Die Ergeb­nis­se unter­strei­chen, dass häu­fi­ge Annah­men über die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen von Can­na­bis auf die geis­ti­ge Leis­tungs­fä­hig­keit dif­fe­ren­ziert betrach­tet wer­den müs­sen. Ins­be­son­de­re die Tat­sa­che, dass weder der Kon­sum­be­ginn noch die Häu­fig­keit des Kon­sums signi­fi­kant mit einem stär­ke­ren kogni­ti­ven Abbau in Ver­bin­dung ste­hen, for­dert gän­gi­ge Kli­schees her­aus.

Gesell­schaft­li­che Impli­ka­tio­nen

Die­se Ergeb­nis­se sind nicht nur wis­sen­schaft­lich inter­es­sant, son­dern auch gesell­schaft­lich rele­vant. Sie könn­ten dazu bei­tra­gen, die öffent­li­che Debat­te über Can­na­bis­nut­zung zu ver­sach­li­chen und die Ent­stig­ma­ti­sie­rung der Sub­stanz zu för­dern. Gleich­zei­tig unter­strei­chen sie die Not­wen­dig­keit, wei­te­re Lang­zeit­stu­di­en durch­zu­füh­ren, um offe­ne Fra­gen zu klä­ren und die spe­zi­fi­schen Risi­ken sowie poten­zi­el­len Vor­tei­le von Can­na­bis­nut­zung bes­ser zu ver­ste­hen.

Trotz­dem soll­ten die Ergeb­nis­se mit Vor­sicht inter­pre­tiert wer­den, da Ein­schrän­kun­gen wie die rein männ­li­che Stich­pro­be und die retro­spek­ti­ve Erfas­sung des Kon­sums berück­sich­tigt wer­den müs­sen. Eine umfas­sen­de­re Betrach­tung, die auch geschlechts­spe­zi­fi­sche und kul­tu­rel­le Unter­schie­de ein­be­zieht, wäre ein wert­vol­ler nächs­ter Schritt. Eben­so wäre es sicher­lich sinn­voll, eine Grup­pe von inten­si­ven Kon­su­men­ten mit ein­zu­be­zie­hen.

Aus­blick

Zusam­men­ge­fasst wür­de ich mir für die zukünf­ti­ge For­schung einen stär­ke­ren Fokus auf fol­gen­de Punk­te wün­schen:

  1. Geschlechts­spe­zi­fi­sche Unter­schie­de: Die Aus­wir­kun­gen des Can­na­bis­kon­sums auf Frau­en sind bis­lang unter­re­prä­sen­tiert. Stu­di­en, die sowohl Män­ner als auch Frau­en ein­be­zie­hen, könn­ten ein voll­stän­di­ge­res Bild zeich­nen und hel­fen, geziel­te­re Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men zu ent­wi­ckeln.
  2. Unter­schie­de in Kon­sum­for­men: Die Unter­su­chung ver­schie­de­ner Kon­sum­for­men (z. B. Rau­chen, Edi­bles, Ver­damp­fen) und deren spe­zi­fi­sche Aus­wir­kun­gen auf die kogni­ti­ve Gesund­heit ist ein Bereich mit gro­ßem Poten­zi­al. Unter­schied­li­che Auf­nah­me­we­ge könn­ten unter­schied­li­che Risi­ken oder Vor­tei­le ber­gen.
  3. Lang­fris­ti­ge sozia­le und kul­tu­rel­le Ein­flüs­se: Der Ein­fluss von Umwelt­fak­to­ren, wie Bil­dung, sozia­lem Sta­tus oder kul­tu­rel­len Ein­stel­lun­gen gegen­über Can­na­bis, soll­te inten­si­ver beleuch­tet wer­den. Sol­che Stu­di­en könn­ten auch hel­fen, gesell­schaft­li­che Vor­ur­tei­le abzu­bau­en.
  4. Gene­ti­sche Prä­dis­po­si­tio­nen: Zukünf­ti­ge For­schun­gen könn­ten den Fokus auf gene­ti­sche Fak­to­ren legen, die beein­flus­sen, wie Men­schen auf Can­na­bis reagie­ren. Dies könn­te zu per­so­na­li­sier­ten Emp­feh­lun­gen und einer geziel­te­ren Gesund­heits­auf­klä­rung füh­ren.

Poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Kon­se­quen­zen

Die­se Erkennt­nis­se könn­ten auch als Grund­la­ge für eine dif­fe­ren­zier­te Dro­gen­po­li­tik die­nen. Wenn Can­na­bis lang­fris­tig kei­ne signi­fi­kan­ten nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die kogni­ti­ve Gesund­heit hat, könn­te dies die Argu­men­ta­ti­on für eine kon­trol­lier­te Lega­li­sie­rung stär­ken. Gleich­zei­tig soll­ten jedoch geziel­te Auf­klä­rungs­maß­nah­men und Prä­ven­ti­ons­pro­gram­me aus­ge­baut wer­den, um poten­zi­el­le Risi­ken, wie den Miss­brauch durch Jugend­li­che, zu mini­mie­ren. Ins­ge­samt bie­tet die vor­lie­gen­de Stu­die eine soli­de Grund­la­ge, um zukünf­ti­ge For­schung und gesell­schafts­po­li­ti­sche Dis­kus­sio­nen wis­sen­schaft­lich zu unter­mau­ern.

Mein Senf dazu

Nach­dem wir nun die Fak­ten betrach­tet haben, möch­te ich noch einen per­sön­li­chen Gedan­ken dazu tei­len: Egal, ob sich      
 durch zukünf­ti­ge For­schung her­aus­stellt, dass Can­na­bis (und auch ande­re Dro­gen) weni­ger schäd­lich ist als bis­lang ange­nom­men oder ob sich lang­fris­tig zeigt, dass die Dro­ge schäd­li­cher ist als gedacht: Ich hal­te es – nicht nur beim The­ma Dro­gen —  für essen­ti­ell, sich bei gesell­schaft­lich rele­van­ten The­men auf die Ergeb­nis­se wis­sen­schaft­li­cher For­schung zu stüt­zen. Lei­der wird beim The­ma Dro­gen (und nicht nur dort) oft mit Emo­tio­nen statt mit Fak­ten Poli­tik gemacht. Ich habe oft die Erfah­rung gemacht, dass Can­na­bis und Hero­in in einem Atem­zug genannt wer­den, die Men­schen den Unter­schied zwi­schen Haschisch und „Mari­hua­na“ nicht ken­nen und die Dro­ge ganz all­ge­mein ver­teu­felt wird. Natür­lich gibt es unter­schied­li­che Mei­nun­gen dazu – aber genau des­halb ist es so wich­tig, sich auf For­schung statt Emo­tio­nen zu stüt­zen. Für Men­schen, die auf­grund ihrer chro­ni­schen Erkran­kun­gen medi­zi­nisch von Can­na­bis pro­fi­tie­ren könn­ten, ist die gesell­schaft­li­che Stig­ma­ti­sie­rung jeden­falls nicht hilf­reich.

Was denkt ihr?

Das Kli­schee „Kif­fen macht dumm“ hält sich hart­nä­ckig – aber ist es euch auch schon begeg­net? Viel­leicht in Medi­en, in poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen oder in eurem per­sön­li­chen Umfeld? Falls ja, fragt euch mal: Wel­che Stu­di­en ste­hen eigent­lich dahin­ter – oder ist es nur eine Behaup­tung, die nie wirk­lich hin­ter­fragt wur­de?

Ich habe in die­sem Arti­kel mei­ne Gedan­ken dazu geteilt, war­um wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se eine grö­ße­re Rol­le in der Dro­gen­po­li­tik spie­len soll­ten. Aber wie seht ihr das? Soll­te Poli­tik stär­ker auf For­schung set­zen oder spie­len gesell­schaft­li­che Wer­te eine wich­ti­ge­re Rol­le?

Schreibt eure Mei­nung in die Kom­men­ta­re – ich bin gespannt auf eure Sicht­wei­se und freue mich auf die Dis­kus­si­on!

Wei­ter­füh­ren­de Quel­len

  1. https://www.welt.de/gesundheit/article108825174/Wissenschaftlich-bewiesen-Kiffen-macht-dumm.html
  2. https://www.focus.de/wissen/natur/macht-kiffen-eigentlich-dumm-forscher-liefern-ueberraschende-antwort_id_259700703.html
  3. https://www.welt.de/kmpkt/article175814477/Cannabis-Gras-ist-nicht-schuld-dass-Kiffer-duemmer-sind.html
  4. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978–3‑319–03101-9_2
  5. Høeg, K. M., Fro­de­gaard, R. L., Grønk­jær, M., Osler, M., Mor­ten­sen, E. L., Flens­borg-Madsen, T., & Okholm, G. T. (2024). Can­na­bis Use and Age-Rela­ted Chan­ges in Cogni­ti­ve Func­tion From Ear­ly Adult­hood to Late Mid­life in 5162 Danish Men. Brain and Beha­vi­or. DOI: 10.1002/brb3.70136
  6. https://ehs.usc.edu/research/cspc/chemicals/
  7. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32823178/
  8. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31790276/
  9. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33501901/
  10. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37625034/
  11. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27810656/
  12. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19930263/
  13. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21198650/
  14. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3579248/

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