Es ist endlich soweit und der Tag, auf den die Cannabiscommunity solange gewartet hat ist nun endlich da. Das Cannabisgesetz (CanG) hat Bundestag und Bundesrat passiert und tritt nach langem Warten am 01. April 2024 in Kraft. Cannabis wird (zumindest teilweise) legalisiert. Die Entkriminalisierung der Droge Cannabis bietet aber nicht nur Vorteile. Als Gesellschaft sind wir in der Verantwortung, nun ganz genau hinzusehen, wie wir die neu gewonnenen Freiheiten nutzen. Für einige Menschen bedeutet das neue Gesetz gar das Gegenteil von Freiheit. Im folgenden Artikel fasse ich zusammen, wie ich das Gesetz und die Ereignisse der letzten Wochen persönlich wahrnehme und was ich mir für die Zukunft mit diesem Gesetz wünsche.
Cannabis ist die rettende Medizin-Alternative für viele Menschen mit chronischen Erkrankungen
Für viele Menschen mit chronischen Erkrankungen ist medizinisches Cannabis der letzte Strohhalm. Es kann auf verschiedene Arten verabreicht werden: Unter anderem als Mundspray oder als Tropfen. Viele Menschen vaporisieren aber auch getrocknete Cannabisblüten und müssen sich an einen strikten Therapieplan halten, um eine Wirkung zu erzielen. Die Medikation in der Öffentlichkeit ging schon vor dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) mit einer Stigmatisierung einher. Zu fest sitzen die jahrzehntealten Vorurteile, zu stark ist das Klischeebild des ungepflegten, stinkenden „Kiffers“. Für einen großen Teil ebendieser Menschen beinhaltet die Möglichkeit, ihr Medizinalcannabis einzunehmen aber zugleich die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Teilhabe. Und genau die wird durch das neue Cannabisgesetz nun eingeschränkt. Der Gesetzestext sieht keine Ausnahmeregelung für Patienten vor. Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen wurden hier geradezu übersehen. Das heißt, dass jeder Mensch, der Cannabis als Medizin öffentlich nutzt, sich nun vorher informieren muss, ob er sich nicht in der Nähe eines Spielplatzes oder einer sonstigen „Verbotszone“ befindet.
Das CanG diskriminiert Menschen, die Cannabis als Medizin verwenden
„Ist doch keine große Sache. Dann geht doch eben um die Ecke, wo euch keiner sieht“ mag mancher denken, der der Droge ohnehin eher skeptisch gegenüber steht. Für viele der Patienten sind aber genau diese Dinge ein Problem. Da wäre beispielsweise der Platzwart/Hausmeister des Fußballplatzes mit angeschlossener Sporthalle, der mit Herzblut alle nötigen Arbeiten für die Jugendmannschaft des Kreisligisten verrichtet. Er hat nur leider Morbus Crohn. Sein Therapieplan sieht eine Dosis vaporisierte Cannabinoide in definierten Intervallen vor. Die Alternative (andere Medikamente versagen bei ihm) ist, dass er regelmäßig bis zum Hosenbund in seinen eigenen mal flüssigen mal festen Ausscheidungen steht (Morbus Crohn ist in dieser Sache echt „Scheiße“). Und dann ist da auch noch die Erzieherin der katholischen Kita Sankt Barbara. Bei ihr wurde vor 17 Jahren Multiple Sklerose diagnostiziert. Die Leitlinienmedikation hat bei ihr sehr viele Nebenwirkungen gezeigt, sodass ihre Krankenversicherung ihr seit 6 Jahren die Cannabismedikation ermöglicht. Ohne diese Medizin würden die Muskelspasmen, die seit Jahren Teil ihres Lebens sind, zu Harninkontinenz führen. Man stelle sich vor, wie sich eine Erzieherin in Gegenwart ihrer Kollegen, der Kinder und am besten noch mit anwesenden Eltern einpinkelt.
Politische Überzeugung basiert oft auf Emotionen, nicht auf Fakten
Warum muss ich für diese Beispiele so tief in die Fäkalkiste greifen? Ganz einfach: Leider muss vielen Menschen ein emotionales Bild gezeichnet werden, um ihnen Zusammenhänge bzw. Ziele begreiflich zu machen. Die Abstandsregeln des CanG schließen Menschen aus und verwehren ihnen eine würdevolle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und/oder Arbeitsleben. Hier wünsche ich mir zeitnah eine Korrektur.
Cannabis ist seit heute auch nicht mehr Teil des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG). Die Verschreibung durch den Arzt wird also entsprechend erleichtert. Solange der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen bleibt, wird die meiste Cannabismedikation wahrscheinlich auf Privatrezept verschrieben. Für Menschen mit chronischer Erkrankung ist das ein bleibendes Hindernis, da der Kostenübernahmeantrag oft kompliziert begründet werden muss. Bei privater Bezahlung gehen die Kosten zudem in den drei- bis vierstelligen Bereich. Und das monatlich. Ich bin gespannt, wie sich hier die Gesetzgebung weiterentwickelt.
Zurück zum Thema „emotionale Bilder“. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten erlebt, wie Befürworter und Gegner der Legalisierung versucht haben, jeden, den es interessiert, von ihrem jeweiligen Standpunkt zu überzeugen. Auf der Seite der Gegner (allem voran die CSU und Markus Söder, die mit ihrer Argumentationskette ebenso wenig christlich wie sozial sind) die immer gleichen nicht belegbaren Argumente: Cannabis sei eine Einstiegsdroge. Und „die Freigabe gefährdet unsere Kinder. Kann nicht irgendjemand auch nur ein kleines bisschen für eine einzige Sekunde an die Kinder denken?“ Man möchte keinen Drogentourismus im schönen Bayern und wird das mit allen Mitteln zu verhindern wissen. Gleichzeitig wird natürlich geduldet, wie sich die halbe Welt einmal im Jahr auf der Theresienwiese die Seele aus dem Leib kotzt, „Mia san mia“, Drogendealer mit Schanklizenz, ich verachte eure Doppelmoral.
Die Ablehnung einer Legalisierung von Cannabis basiert auf Wissenschaftsfeindlichkeit
Auf der Seite der Befürworter wird mit evidenzbasierten Daten argumentiert. Wie langweilig, wie soll man sich denn da gescheit aufregen? Ich habe in den vergangenen Wochen auch einige Diskussionen in diesem Bereich geführt. Nicht nur einmal fielen dabei Sätze wie „Glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast“, gefolgt von „Da gibt es sicher zig Studien, die das Gegenteil beweisen“. Auf Nachfrage, welche wissenschaftlichen Quellen das denn seien, erhalte ich in der Regel die Antwort, es sei meine Aufgabe, das selbst zu googlen (Habe ich gemacht und ich finde diese „Gegenbeweise” nie). Genau hier ist aber das Problem. Wissen sollte immer geteilt werden, insbesondere in Diskussionen. Wenn man nach Belegen fragt und diese verweigert werden, stellt sich die Frage, ob die Person überhaupt jemals diese Belege selbst gesehen hat oder einfach nur behauptet, dass es sie gäbe. Eben weil es darum geht, ein eigenes, nicht faktenbasiertes Weltbild zu untermauern oder man gewollt unwissenschaftliche Behauptungen von Politikern wiederholt, da diese der eigenen Meinung entsprechen. Wissenschaft ist nichts, woran man glaubt und dessen Erkenntnisse sich nur dann bestätigen. Vor diesem Hintergrund hätten sich auch viele Diskussionen um das Impfen oder den Klimawandel der letzten Jahre erübrigt. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass seitens politischer Entscheidungsträger häufiger auf Basis wissenschaftlicher Evidenz entschieden wird. Im Moment dominieren gefühlt eher wirtschaftliche Interessen.
Wissenschaftliches Arbeiten ist an Gütekriterien gebunden
Apropos evidenzbasiert: Der Antenne-Bayern-Moderator Wolfgang Leikermoser hat angekündigt, am 2. April live auf Sendung einen Joint rauchen zu wollen und seine Eindrücke zu teilen. Auf der Homepage des Radiosenders heißt es
„Wolfgang Leikermoser betont, dass es ihm nicht um die Verharmlosung des Cannabis-Konsums geht, sondern um Aufklärung und Verständnis. „Ich will verstehen, warum unsere Bundesregierung dem Thema so offen gegenübersteht“, (..) Mit seinem Experiment möchte er zur Diskussion um die Legalisierung von Cannabis beitragen und die Hörer für die Thematik sensibilisieren.“
Quelle: Internetauftritt Antenne Bayern
Außerdem gibt Leikermoser an:
„Ich habe als Sportler in meinem ganzen Leben nie geraucht. Weder Zigaretten noch Cannabis. Ich bin insgesamt gesundheitsbewusst und schätze, dass mir das Ganze absolut keinen Spaß machen wird.“
Wolfgang Leikermoser
Echte wissenschaftliche Experimente sind an drei Gütekriterien gebunden, die für ein ernstzunehmendes Ergebnis erfüllt werden müssen. Namentlich sind dies Validität, Reliabilität und Objektivität.
- Validität beantwortet die Frage, ob wirklich das gemessen wird, was gemessen werden soll. Hier: Warum steht die Bundesregierung der Legalisierung offen gegenüber?
- Reliabilität beantwortet die Frage, ob ähnliche oder gleiche Ergebnisse herauskämen, wenn eine Messung (hier: das Rauchen des Joints) mehrfach vorgenommen wird (Reproduzierbarkeit).
- Objektivität beantwortet die Frage, ob ein Ergebnis von der Meinung oder dem Gefühl einer Person beeinflusst wird (Hier: komme ich oder eine andere Person zum gleichen Ergebnis, wenn jemand anderes den Joint raucht?)
Offensichtlich hält Leikermosers „Experiment“ diesen Gütekriterien nicht stand. Ich befürchte aber, daran wird sich nicht wirklich jemand stören.
Gut gemeinte Prävention ist nicht automatisch gute Prävention
Mit „Aufklärung und Verständnis”, wie es bei Antenne Bayern heißt, hat das ganze meines Erachtens sehr wenig zu tun. Schon gar nichts mit Prävention und Jugendschutz. Wenn es sich wie behauptet um den ersten Konsum des Moderators handelt, dann ist sein Handeln umso fahrlässiger. Set und Setting spielen auch beim Konsum von Cannabis eine große Rolle. Leikermoser würde am Setting seines Arbeitsplatzes konsumieren. Ein sicherer Ort für Konsum ist das nicht. Selbst in der Gegenwart des Arztes und Suchtexperten ist ein solches Handeln unverantwortlich. Es stellt sich auch die Frage, warum es ein Joint sein muss. Verantwortungsvollerer Konsum wäre Vaping. Wird hier womöglich sogar Tabak beigemischt? Wie viele der Hörer von Antenne Bayern sind Kinder und Jugendliche? Im Großen und Ganzen kommt hier für mich der Eindruck auf, dass es keinesfalls um Aufklärung geht. Was Antenne Bayern und Leikermoser hier ankündigen, ist eine durch gezieltes Marketing geförderte Provokation. Einen Mehrwert für die Hörer-Öffentlichkeit sehe ich hier nicht. Auch hier würde ich mir wünschen, dass sich Menschen vorab informieren, statt wild drauf los zu konsumieren.
Der schlimmste Feind des Legalisierungsbefürworters ist der Legalisierungsbefürworter
Apropos Provokation: In den letzten Wochen wurde in sozialen Medien vermehrt zu Veranstaltungen für den 01.04. aufgerufen. Einige Extremisten aus der Cannabiscommunity riefen dazu auf, sich am heutigen Tag vor den CSU-Parteizentralen oder vor Polizeidienststellen zu positionieren und sich provokativ einen Joint anzuzünden. Der Aufruf der DIE PARTEI Köln vor der Bahnhofskapelle einen „Kiff-In” zu veranstalten wirkt dabei zwar weniger extremistisch, stößt aber ins gleiche Horn: „Ihr habt uns Jahrzehnte lang unterdrückt. Jetzt sind wir frei und zeigen es euch.“ In der Nacht auf den 01. April 2024 traf man sich zudem am Brandenburger Tor, um sich – teilweise in Zugriffsnähe der anwesenden Polizei – und vor laufenden Kameras demonstrativ einen Joint anzuzünden. Alle Achtung liebe Feiernden. Jetzt habt ihr es den Legalisierungsgegnern gezeigt. Ihr habt ihnen gezeigt, dass ihr völlig zurecht jahrzehntelang in eurer Freiheit eingeschränkt wurdet und auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines pubertierenden und offenbar sehr trotzigen Vierzehnjährigen hängengeblieben seid. Es ist lobenswert, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei Durchhaltevermögen zu zeigen. Wir verdanken unsere neu gewonnene Freiheit nicht zuletzt den stetigen Bemühungen der Aktivisten aus der Cannabiscommunity. Vielen Dank dafür. Aber muss man jetzt wirklich demonstrativ konsumieren und der Masse zeigen, wie unglaublich frei man ist? Muss man das “Kiffer”-Klischee, das Legalisierungsgegner in ihren Köpfen haben, reproduzieren und öffentlich zur Schau stellen? Bisher hatten die Legalisierungsgegner kaum valide Argumente, nun erhalten sie ein paar von der Cannbiscommunity auf dem Silbertablett serviert. Ist der nächste Schritt mit einem “Aprilfest” eine Gegenveranstaltung zum Oktoberfest zu schaffen und sich genauso danebenzubenehmen wie Alkoholkonsumenten?
Für Aufklärung und Entstigmatisierung braucht es Mäßigung
Wir in der Cannabiscommunity sind immer sehr schnell dabei, unsere Situation mit denen von Menschen zu vergleichen, die Alkohol konsumieren. Wie käme es an, wenn Alkohol die verbotene Substanz gewesen wäre? Und am heutigen Tag lungerte dann eine Menschenmenge so groß wie das Fassungsvermögen eines Oktoberfest-Bierzelts vor dem Brandenburger Tor, den konservativen Parteizentralen und den Polizeidienststellen herum. Es kreisen Schnapsflaschen, es wird lautstark gesungen und am Ende liegt überall Müll? (Ihr habt heute wohl kaum alle eure Joint-Stummel wieder mitgenommen). Gefällt euch Freiheitsdemonstranten dieses Bild? Mir gefällt es nicht und das ist auch nicht das Bild, das ich als Befürworter der Cannabisfreigabe vermitteln möchte. Es wird nämlich nur zu einer weiteren Verhärtung der Fronten führen und das brauchen wir in unserer Gesellschaft nicht. Versteht mich nicht falsch. Es ist toll, zu feiern. Ich genieße meine neu gewonnene Freiheit auch. Aber wie wär’s denn mal mit einem bisschen Miteinander und weniger Gegeneinander?
Ein paar Worte zum Schluss
Für mich steht jedenfalls fest, dass das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes am heutigen Tag erst der Anfang eines langen beschwerlichen Weges ist. Der erste Teil des Gesetzgebungsprozesses ist abgeschlossen. Nun heißt es abwarten und auswerten. Es gibt viel Verbesserungsbedarf und noch mehr Bildungsbedarf. Ich für meinen Teil möchte den Bildungsbedarf nicht von Dauerkonsumenten gedeckt wissen (Man stelle sich vor der Dorftrinker mit der rotesten Nase klärt die Jugend über Alkoholkonsum auf). In diesem Sinne: Bleibt gemäßigt und denkt daran: Cannabis ist eine Manchmal-Droge, keine Jeden-Tag-Droge.
Peace!